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Wie ist es eigentlich, wenn der Bürgermeister Smartphones verbietet?

Politik

Wie ist es eigentlich, wenn der Bürgermeister Smartphones verbietet?

Vincent Paul-Petit ist Bürgermeister von Seine-Port, einem kleinen Dorf in Frankreich. Der 64-Jährige hat Smartphones im öffentlichen Raum verboten – um die Gemeinschaft zu schützen, wie er sagt.

«Bei uns im Dorf gilt: Keine Smartphones im öffentlichen Raum, also vor Bibliotheken, in der Schlange vor der Metzgerei, auf dem Pausenplatz. Auch beim Spazieren oder Rumsitzen muss das Handy in der Tasche bleiben. Wir müssen unsere Gemeinschaft schützen, hier, im 2000-Seelen-Dorf Seine-Port, eine Autostunde entfernt von Paris.

Vorher war das anders. Sobald die Kinder und Jugendlichen aus dem Schulhaus getreten sind, haben sie nicht mehr miteinander geredet. Sie guckten auf ihre Telefone. Ich bin Bürgermeister, und als solcher habe ich die Pflicht, zu handeln, wenn ich sehe, dass etwas falsch läuft.

Wissen Sie eigentlich, wie viele Familien am Anschlag sind, weil sie täglich mit ihren Jugendlichen streiten wegen dieser blöden Smartphones? Es haben sich verzweifelte Eltern an mich gewandt. Die neue Regel, die seit dem 1. März dieses Jahres gilt, ist vor allem für sie. Damit sie spüren und sehen: Sie sind mit ihren Herausforderungen nicht alleine, es geht uns alle an.

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«Die Smartphone-Sucht ist eine weltweite Epidemie, die wir bekämpfen müssen»

Für mich ist klar, dass die Smartphone-Sucht eine weltweite Epidemie ist, die wir bekämpfen müssen. Wir müssen Gesetze und Regeln etablieren, um die Menschen zu schützen. Doch natürlich braucht das ein Umdenken.

Wir haben darum zur Gesetzeseinführung auch Empfehlungen für die eigenen vier Wände verteilt: Kein Smartphone beim Essen, keines, wenn das Kind alleine ist, keines im Schlafzimmer und kein Handy vor der Schule. Dafür möchten wir mehr Anreize schaffen, sich zu bewegen. Und wir bieten in den Cafés und Restaurants wieder mehr Brettspiele an, gratis Bücherecken.

Aber klar, am Ende können die Leute zuhause machen, was sie wollen, sie können tage- und nächtelang auf ihre Bildschirme starren. 54 Prozent stimmten Ja bei der Abstimmung – was auch bedeutet, dass fast die Hälfte gegen diese Regel ist. Wir sind glücklicherweise freie Menschen, alle dürfen ihre eigenen Gründe für oder gegen den Smartphone-Konsum haben. Draussen aber, im öffentlichen Raum, sollen sich die Leute unterhalten, miteinander in Kontakt kommen.

Es wird niemand gebüsst, wenn er oder sie sich nicht an die Regel hält. Es gibt keine Strafen, es kommt auch niemand ins Gefängnis, weil er auf sein Smartphone guckt. Ehrlich gesagt ist dieser Ratsbeschluss juristisch betrachtet nicht viel mehr als heisse Luft. Und doch ist er von grosser Tragweite, weil er Symbolwirkung hat.

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«Wir sind wir nicht wachsam genug für die Schattenseiten der Digitalisierung»

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin nicht gegen die Digitalisierung. Als CEO eines KMUs habe ich sie einst sogar vorangetrieben. Bis unser System gehackt wurde. Drei Monate lang war unsere Produktion stillgelegt. Ich musste die Aktien der Firma am Ende für einen symbolischen Euro verkaufen. Das hat mir gezeigt, wie fragil dieses ganze Konstrukt ist. Wie sehr wir uns darin verlieren und wie sehr wir darauf hoffen, dass die Digitalisierung alle unsere Probleme löst. Dabei sind wir nicht wachsam genug für ihre Schattenseiten.

Ob die neue Regelung langfristig Wirkung zeigt, wird sich weisen. Doch ich stelle zufrieden fest: Während des letzten Monats habe ich keinen einzigen Elternteil mehr vor dem Schuleingang geortet, der sein Smartphone gezückt hätte. Das ist schön zu sehen.»

 

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