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Kommentar zur Elternzeit-Niederlage: «Die Schweizer Familienpolitik ist beschämend»

Politik

Kommentar zur Elternzeit-Niederlage: «Die Schweizer Familienpolitik ist beschämend»

Die Elternzeit-Initiative im Kanton Zürich erlitt eine vernichtende Niederlage. Unsere Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin kann es nicht verstehen. Ein Kommentar.

Wir hatten es vorgerechnet. Die Elternzeit hätte jede:n Arbeitnehmende:n im Kanton Zürich pro Monat ungefähr so viel gekostet wie ein Cocktail in einer durchschnittlichen Zürcher Bar: 17.50 Franken. Ja, es war wieder einmal ein glorioser Tag für die direkte Demokratie in diesem Land. Die Elternzeit-Initiative im Kanton Zürich wurde mit vernichtenden 64,8 Prozent abgeschmettert. Eine Freundin aus Deutschland, die nebenbei bemerkt in ihrem zweiten Jahr Elternzeit ist, ruft mich an: «Wie, ihr habt die Chance, über so etwas abzustimmen? Und dann lehnt ihr es ab? Was ist los mit euch?» Ich schäme mich. Ich habe keine Antwort. Ja, was zum Teufel ist los mit uns? 

Verzweifelte Erklärungsversuche: zu wenig Lärm, keine starke Kampagne, die Leute wollen keine kantonale Lösung für ein solches Anliegen. Dabei lieben wir Schweizer:innen doch sonst unsere kantonalen Unterschiede. Und irgendwo muss man ja anfangen, so ein Entscheid hätte richtungsweisend sein können für eine progressivere Familienpolitik im gesamten Land. Aber das ist offenbar gar nicht gewünscht. Leider wird diese Niederlage nun wohl auch weitere bundesweite Bestreben erst einmal im Keim ersticken. 

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«Einmal kurz dem Baby im Kreisssaal über den Glatzkopf streichen und dann zurück ins Büro für ein High Five mit den Kolleg:innen?»

«So ein radikaler Vorstoss braucht einen langen Atem», schreibt eine Kollegin. Radikal? Ein Blick auf unsere Nachbarländer genügt, um das besser einzuordnen. Selbst diese geforderten 18 Wochen (nicht Monate!) wären das Gegenteil von radikal gewesen. In Frankreich stehen der Mutter 42 Wochen zu, dem Vater 28. In Deutschland gibt es 60 Wochen Elternzeit. In Österreich dauert die Elternkarenzzeit bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr des Kindes. Erst kürzlich wurde bei uns in der Schweiz der peinliche eine Tag Vaterschaftsurlaub auf peinliche zehn Tage erhöht. Das muss doch jetzt für die nächsten 20 Jahre reichen, oder? Immer wollen wir noch mehr, reicht man uns gierigen Pläuschler:innen den kleinen Finger, wollen wir gleich die ganze Hand.  

Ich bin es so leid. Das Einzige, das ich aus diesem überdeutlichen Resultat ablese, ist nämlich, dass Kindergrossziehen in den Augen unserer Gesellschaft offenbar noch immer Frauensache ist. Es werden ja nicht einmal die zehn Tage Vaterschaftsurlaub in Anspruch genommen, weniger als die Hälfte der Väter hat im letzten Jahr den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub bezogen. Einmal kurz dem Baby im Kreisssaal über den Glatzkopf streichen und dann zurück ins Büro für ein High Five mit den Kolleg:innen? Und das finden wirklich zwei Drittel unserer Gesellschaft total okay so?  

Es schmerzt, wenn man aus seiner Bubble ausbricht und merkt, dass echte gleichberechtigte Familienpolitik für die meisten von uns gar kein so brennendes Anliegen ist. Weil es ja auch so geht. Ging ja immer. Auf dem Rücken der Mütter, die die Last auch weiterhin tragen werden. Und zu Ungunsten der Männer, die gerne mehr als der Glatzkopfstreichler im Kreisssaal sein möchten. Vielleicht denken wir beim nächsten Cocktail darüber nach.  

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MARCEL

Nach der Scheidung der Eltern dazumal ca 1974/75 musste ich dann auch noch nach dem tot meiner Mutter im Amt sursee,hochdorf, Luzern und willisau alles selber bezahlen. Die waisenrente bekamm ich nicht einmal ein Geburtstaggeld und eine Geburtstagsfeier. So läuft das bei uns,kommt darauf an wer es ist. Ich grounding Marcel….

Christina

Liebe Frau Krause

Das ganze ist ein wenig mehr komplex. Als allererstes, der Vergleich mit den “fortschrittlicheren Länder” rund um uns zieht nicht. Die Kinderquote ist genause hoch (oder eben niedrig) wie in der CH, teilweise tiefer.

Das allerwichtigste Element sind aber die Mütter. Schön wenn ihr Mutterschaftsurlaub schön war. Meiner war ok, unterbrochen von Anrufen, wie man etwas macht oder wo File xyz ist. Was auch harmlos ist. Aber suchen sie mal die Artikel über Müttermobbing – und glauben sie mir, was sie hier in der CH lesen, ist harmlos gegen das, was in ihrem gelobten D abläuft.

Warten sie ab, bis sie dann an die real challenge laufen. Mütter, welche ermahnt werden, ihr Kind nicht die ganze Woche in den Hort zu schicken (was zum Teufel soll man sonst machen als Alleinerziehende) oder das Gespräch mit dem Zahnarzt, wo der Vortrag über zuviel Schokolade schon zum Standard gehört (und ja, ich bin übergewichtig, aber nicht durch Schokolade).

Da müssen noch ganz andere Dinge ändern, aber das braucht Zeit. Darum sowas auf kantonaler Ebene über die Leiste zu brechen – die Abfuhr war verdient! Mag man mögen oder nicht.

Anabel

Schweizer Familienpolitik, inklusive Schweizer Menschlichkeit (sozialpolitik, Gesundheitspolutik, IV Politik ) ist eine von die aller schlechtesten ganz Europa. Viel Geld kann man in der verdienen, aber menschlich behandelt werden, nein.
Schweizer haben, um was, geht Menschlichkeit, vieles zu lernen.