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«Ehe für alle»: So ist es, mit zwei Vätern aufzuwachsen

Leben

«Ehe für alle»: So ist es, mit zwei Vätern aufzuwachsen

Im Vorfeld der Abstimmung über die «Ehe für alle» wird viel über das Kindswohl debattiert. Doch dabei wird mehr über die Kinder aus Regenbogenfamilien gesprochen als mit ihnen. Natalia (17) aus Bern ist mit zwei Vätern aufgewachsen und erzählt uns über ihr Leben.

«Ich freue mich auf die bevorstehende Abstimmung und hoffe natürlich, dass die ‹Ehe für alle› angenommen wird. Eigentlich habe ich auch das Gefühl, dass es klappen sollte. Aber gleichzeitig habe ich jetzt schon ein paar Mal in der Stadt die Plakate der Gegner:innen mit den tränenüberströmten Kindern gesehen. Die finde ich ganz schlimm. Jedes Mal, wenn ich die Plakate sehe, wird mir unwohl.

Mich stört, dass die Gegenseite so viel übers Kindswohl erzählt und darüber, was Kinder brauchen, aber sich gleichzeitig kaum jemand Zeit nimmt, mit uns Kindern aus Regenbogenfamilien darüber zu sprechen. Ich bin mit zwei Vätern aufgewachsen – lebe heute aber alleine mit meinem Papa, da mein Daddy vor einigen Jahren verstorben ist.

Persönlich habe ich nie etwas Negatives erlebt im Sinne von Anfeindungen oder Beleidigungen. Was ich aber viel erlebe, ist, dass mir Menschen, die ich kaum kenne, sehr persönliche Fragen stellen, wenn sie erfahren, wie ich aufgewachsen bin und wie meine Familie aussieht.

Ich wurde adoptiert – dann kommt sofort die Frage ‹Vermisst du deine leiblichen Eltern?›. Und ich habe einen Bruder, der noch bei meinen leiblichen Eltern lebt – dann fragen viele ‹Bist du hässig, dass deine leiblichen Eltern ihn behalten, aber dich weggegeben haben?›. Doch damit kann ich eigentlich gut umgehen.

Was ich aber auch höre, sind Fragen wie: ‹Wie sind denn deine Väter zu dir?›. Als ob sie mich schlecht behandeln würden, weil sie schwul sind. Dann überlege ich mir, ob man diese Frage auch jemandem stellen würde, der einen Vater und eine Mutter hat. Dass dieses Denken noch so weit verbreitet ist, finde ich krass.

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«Es war in meinem Umfeld immer ein Thema, dass ich zwei Väter habe»

Viele Menschen haben das Gefühl sie hätten das Recht, mir all diese Fragen zu stellen, einfach nur, weil meine Familie ein bisschen anders ist als ihre. Sie überlegen gar nicht, ob sie mich gut genug kennen oder ob sie selbst diese Fragen gestellt bekommen möchten.

Es war in meinem Umfeld immer ein Thema, dass ich zwei Väter habe, einfach weil man als Kind viel über seine Familie und sein Zuhause spricht. Aber es war nie ein Problem, da hatte ich Glück. Ich habe im Kindergarten und in der Schule einfach von Anfang an allen erzählt, wie meine Familie aussieht und so war es sofort klar und normal für alle. Das hat niemand hinterfragt.

Als ich älter wurde, hat sich das etwas verändert, weil bei Teenagern und Erwachsenen schon Vorurteile da sind. Jetzt werde ich mehr ausgefragt und es wird immer ein Riesenthema aus meiner Familie gemacht, obwohl sie für mich doch total normal ist.

Meine Eltern haben von Anfang an offen mit mir darüber gesprochen, woher ich komme, wie ich zu ihnen kam und dass unsere Familien etwas anders aussieht als die Familien in unserer Umgebung. Weil wir immer über alles gesprochen haben, war das völlig normal für mich und es gab keine unbeantworteten Fragen.

Ich habe eine leibliche Mutter und einen leiblichen Vater, die in Amerika wohnen. Während der Schwangerschaft haben sie meine Väter kennengelernt und ich kam nach der Geburt gleich zu ihnen. Meine leiblichen Eltern haben dann später meinen leiblichen Bruder bekommen und ihn behalten.

Als ich klein war, sind wir von den USA in die Schweiz gezogen. Hier haben wir meine zwei Gottis kennengelernt. Sie haben einen Sohn zusammen und leben in einer eingetragenen Partnerschaft. Einer meiner Väter hat ihnen damals Samen gespendet und so war er bis zur Stiefkindadoption rechtlich mein Bruder. Vom Gefühl her bleibt er aber mein Bruder, wir sind zusammen aufgewachsen und haben lange im gleichen Haus gelebt.

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«Wenn ich meine Familie aufzählen müsste, wäre niemand von diesen Personen mit mir blutsverwandt »

Ich habe viele Menschen um mich herum, mit denen ich eine enge Beziehung führe, mit denen ich aufgewachsen bin und die mich prägen. Wenn ich jetzt meine Familie aufzählen müsste, wäre niemand von diesen Personen mit mir blutsverwandt. Die Redewendung ‹Blut ist dicker als Wasser› stimmt für mich überhaupt nicht. Für mich kommt es viel mehr auf die Beziehung an, wie viel Zeit man miteinander verbringt und wie man aufgewachsen ist.

Mit meiner leiblichen Mutter habe ich immer noch Kontakt, vor Corona habe ich sie einmal im Jahr gesehen. Sie ist für mich aber nicht wie eine Mutter, sondern eher wie eine Freundin, ich mag sie als Person. Deshalb finde ich es schön, dass wir eine Beziehung haben. Mit den Familien meiner Väter hingegen bin ich kaum aufgewachsen. Wir haben unsere eigene Wahlfamilie: Ich und meine Väter, meine Gottis mit ihrem Sohn und meine Nachbarn mit ihrer Tochter, der ich nahestehe.

Ich erhoffe mir von der Annahme der ‹Ehe für alle›, dass Regenbogenfamilien nicht mehr die Ausnahme sind und dass es normaler wird, wenn Kinder homosexuelle Eltern haben. Wenn wir präsenter wären und es mehr diverse Familien gäbe, wäre es auch gar nicht mehr so ein Riesenthema. Dann würde ich auch nicht mehr als Spezialfall angesehen, wenn ich sage, dass meine Eltern schwul sind.

«Aber als Kinder aus einer Regenbogenfamilie fühle ich mich selten repräsentiert »

In der Schule war ich immer die Einzige und es gab kein anderes Kind, das auch so eine Familie hat wie ich. Die Lehrpersonen haben nie thematisiert, dass es Regenbogenfamilien gibt. Das war mehr unter uns Schüler:innen ein Thema, über das wir miteinander gesprochen haben.

Aber als Kinder aus einer Regenbogenfamilie fühle ich mich selten repräsentiert. In Büchern und Mathematikaufgaben im Unterricht gab es immer nur Familien mit einer Mutter und einem Vater. Und auch Aufklärung war bei uns hauptsächlich Anatomie-Unterricht, es ging kaum um verschiedene sexuelle Orientierungen – und wenn, dann im Sinn einer ‹Ausnahme›. Und dieses Bild, dass es eben nicht der Normalfall ist, bleibt hängen.

Ich fände es schön, wenn unsere Geschichten mehr erzählt würden. Und ich wünsche mir, dass man gegenüber uns Regenbogenfamilien offener ist. Dass man sich in meine Lage versetzt, bevor man mich ausfragt. Dass man sich Gedanken darüber macht, ob man dieselben Fragen auch einer Person mit heterosexuellen Eltern stellen würde. Dass man den Begriff Familie etwas öffnen und aufgeklärter denken würde. Und dass man realisiert, dass homosexuelle Paare und Regenbogenfamilien keine Seltenheit sind.»

 

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Hans-Ulrich Hoefle

Vielen Dank für diesen Beitrag. Es ist wohltuend von einem Kind einer Regenbogenfamilie in der Schweiz zu lesen. Es ist ja alles noch so neu hier, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, und wir haben noch viel Arbeit mit Geduld und Toleranz vor uns. Wir, zwei Väter, haben selber zwei Töchter und erleben fast jeden Tag besondere Reaktionen in unserem weiteren Umfeld. Ich empfinde es aber als ein Privileg, wenn wir offen miteinander reden können und keine, zumindest offene, Ablehnung erleben müssen.