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Sexologin über «Porn Moves»: «Männer haben Performancedruck beim Sex»

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Sexologin über «Porn Moves»: «Männer haben Performancedruck beim Sex»

Handlungen aus Sexfilmen schwappen mehr und mehr ins Dating über. Sexologin Amelie Boehm sagt, wir müssen uns deren Künstlichkeit stärker bewusst machen.

annabelle: Amelie Boehm, Frauen berichten, dass es beim ersten Sex mit Dating-Partner:innen schnell und ohne sich vorab darüber zu verständigen zu sogenannten Porn Moves kommt – worum handelt es sich dabei?
Amelie Boehm: Porn Moves werden gemeinhin sexuelle Bewegungen oder Handlungen genannt, die typischerweise in Pornos zu sehen sind. Wie etwa das Gegenüber zur Luststeigerung zu würgen oder zu schlagen. Der Begriff wird auch genutzt, um Darstellungen zu beschreiben, die spezifisch vor allem in Pornos auftauchen.

Pornos sind heute gratis und überall verfügbar. Hängt die Verbreitung solcher Handlungen damit zusammen?
Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass sich Pornokonsum auf die sexuellen Aktivitäten, die Anzahl der Sexualpartner:innen und die Häufigkeit von Gelegenheitssex auswirkt. Man vermutet, dass eine Gewöhnung an ständig neue Reize durch Pornos den eigenen Sex langweiliger werden lassen kann. Was dazu inspirieren könnte, ihn eben durch Porn Moves wieder aufregender – und pornoähnlicher – zu machen.

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«Die allermeisten Pornos sind für den männlichen Blick gemacht, dadurch fühlen sie sich für Männer eher natürlich an»

Orten Sie darin den Hauptgrund für Porn Moves?
Erst mal: Erlaubt ist, was allen Beteiligten gefällt. Aber viele wollen – bisweilen auch einfach, um den Selbstwert zu steigern – beim ersten Sex wohl zeigen, dass sie gute Lover und sexuell offen sind und dabei ihre Partner:innen rundum befriedigen können. So, wie ich die Männer in meiner Praxis kennenlerne, haben sie, mehr noch als Frauen, einen ziemlich hohen Performancedruck beim Sex. Und informieren sich dann an den falschen Stellen.

In Pornos?
Ja. Und wenn Mainstream-Pornos die einzige Quelle sind und man sich nirgendwo anders mit der weiblichen Lust auseinandersetzt – dann ist klar, dass es zu Übertragungsfehlern im echten Leben kommt. Dabei wäre es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Pornos keine Dokumentarfilme, sondern eher Actionstreifen sind. Niemand von uns geht ins Kino, schaut «2 Fast 2 Furious» und denkt dann: «Jetzt weiss ich, wie Autofahren geht.» Der Strassenverkehr funktioniert nicht so, Menschen sehen nicht so aus – das ist alles überzeichnet, bei Pornos ebenso. Sie schaffen Bilder, die gemacht sind, um schnell zu erregen und Fantasien zu bedienen.

Ist es ein Klischee oder kann man sagen, dass Männer anfälliger dafür sind, Pornos für bare Münze zu nehmen?
Die allermeisten Pornos, insbesondere frei zugängliche, sind für den männlichen Blick gemacht, dadurch fühlen sie sich für Männer eher natürlich an. Frauen empfinden Pornos oft als das künstliche Produkt, das es ja auch ist; schlicht auch, weil sie wissen, dass bei vielen gezeigten Stellungen die wenigsten Frauen tatsächlich einen Orgasmus haben können. Männer hinterfragen diese Praktiken im Vergleich weniger in Gesprächen mit Freund:innen, als es Frauen untereinander tun.

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«Kein Mann hält ohne Viagra so lange durch und Frauen kommen nicht, wenn man nur ihre Klitoris anschaut»

Wäre es gut, wenn wir mehr über Pornos und ihre Künstlichkeit sprechen würden?
Ja, diese Gespräche fehlen. Niemand nimmt uns heute an der Hand und erklärt: «Kein Mann hält ohne Viagra so lange durch. Das sind Penisattrappen, diese Genitalien wurden operiert und retuschiert, niemand hat so viel Ejakulat und Frauen kommen nicht, wenn man nur ihre Klitoris anschaut.»

Wie geht man den ersten Sex beim Dating am besten an?
Ich empfehle: weniger Techniken, weniger Stellungen, weniger beeindrucken wollen. Lieber schauen, was der anderen Person gefällt, Nähe spüren, in die Verbindung gehen. Und Fragen stellen: Wie wäre es für dich, wenn ich meine Hand an deinen Hals lege? Das geht auch während dem Sex, da muss nicht zwingend ein Vorgespräch stattfinden. Wir sind ja nicht alle gleich. Was für manche reizvoll ist, ist für andere ein Albtraum. Ohne Kommunikation, verbal wie nonverbal, ist es schwierig zu wissen, was die andere Person mag und was nicht. Sex funktioniert nun mal nicht nach Skript – ausser in Pornos.

Amelie Bohm ist Sexologin und Psychologin in Basel und als Expertin sowie als Autorin für verschiedene Publikationen tätig.

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